Fahrtenbericht vom Yukon

by union-web

Auf den Spuren von Jack London

Am 15.Juli 1897 machte ein heruntergekommener, rostiger Pott der Alaska Commercial Company in San Francisco fest. Die Gangway herunter stolperten Mr. Und Mrs. Tom Lippy, zwischen sich einen Koffer, den sie zu zweit kaum bewältigen. Höchst erstaunlich fanden die Zuschauer auf der Pier, denn Mr. Lippy war ein drahtiger, durchtrainierter Mann, jahrelang hatte er die Sportmannschaften des YMCA Seattle trainiert, bis ihm Schuldienst und Schuldrill zu fad geworden und er samt Ehefrau nach Alaska dampfte, „Regenbogen suchen“, wie man im Englischen Traumtänzer bespöttelt.

Stattdessen brachte er in seinem Koffer runde zwei Zentner Gold zurück! Siebzehn Dollar die Unze, sechzehn Unzen per Pfund, machte über 25.000,- Dollar in Nuggets und Goldstaub, was das Ehepaar Lippy da auf die Pier hievte.

Zwei Tage später lief in Seattle die „Portland“ ein, womöglich noch dreckiger und rostiger, mit einigen Herren an Bord, die mit dem Gammel-Look des ehemaligen Opiumschmuggel-Kahns zu wetteifern schienen. Neben ihren sagenhaften, frisch aus den Yukon-Bächen gewaschenen Mammon von zwei Tonnen! Gold brachten die verlotterten Gentlemen die Kunde, dort oben im Norden lägen die Goldklumpen nur so herum – man brauchte sie nur aufzuheben.

Die Nachricht flog um die Welt, die Zeitungen hatten für Monate ihre Schlagzeilen und noch im selben Sommer brachen Hunderttausende aller Gesellschaftsschichten und Erdteile zu den sagenhaften Goldfeldern auf. Der Klondike-Goldrausch hatte begonnen.

Unter den Tausenden, die sich allein aus den Küstenstädten San Francisco, Seattle und Vancouver auf den Marsch machten war ein Kalifornier, einundzwanzig Jahre jung, bärenstark, bereits alter Seebär, trotz seiner Jugend: Jack London.

Er selbst suchte nie nach Gold. Viel eher war er ein aufmerksamer Zuhörer bei den Gesprächen der „Sourdoughs“ und „Eldorado Kings“ in den Saloons. Außerdem wurde ihm viel Talent bescheinigt, die richtigen Leute zum Reden zu bringen, ihm Informationen zu liefern, die er dann zu seinen Novellen und Romanen verarbeitete.

Hundertsechs Jahre später, am 5.August 2003 trafen sich am Flughafen Whitehorse acht Freunde von der ABW und dem Maulbronner Kreis, um den erwähnten Spuren Jack Londons und dem Klondike Goldrausch zu folgen. Fuchs und Oske brachten aus Vancouver zwei Schlauchboote nebst entsprechender Ausrüstung mit. Verpflegung für eine mehrwöchige Tour durch die Wildnis war von den beiden bereits eingekauft und verpackt. Der Zar, Mike und Cosima, Doc Karsten und Klaus sowie Martin kamen mit der Direktmaschine aus Frankfurt.

Dies ist kein Bericht eines großen Abenteuers. Der Fluss ist schon oft befahren worden. Es ist auch nicht so schwierig, dass ihn nur Experten befahren könnten. Die Beschreibung dieser Reise wird sich darum nicht mit dem Abenteuerlichen, mit dem Leben an der Grenze befassen. Es geht mir vielmehr um einen Ausdruck meiner Liebe zu dieser Landschaft und seiner Wildnis, in der ich viele Jahre meines Lebens verbrachte. Die Abläufe in der Natur sind für mich ein Spiegel meines Lebens.

Die kleine Gruppe, die sich mit einer halben Tonne Ausrüstung an den Ufern des Teslin Rivers abgesetzt hatte bestand nicht aus Anfängern in puncto „Outdoors“ wie es heute in Neudeutsch heisst. Das Auf-Fahrt-gehen hatten alle seit Jahrzehnten im Blut.

Die Boote wurden aufgepumpt und beladen, die Lebensmittel wasserdicht in mitgebrachten Fässern verstaut. Nach dem obligatorischen Ablegeschluck von Mr.Fox wurde von demselben noch zwecks eines späteren kulinarischen Höhepunktes das Einlegen von etwas zwei Kilo Rindfleisch in Rotwein zelebriert. Angeblich soll es sich um ein altes, dem Fuchs persönlich überliefertes Rezept eines Yukon-Sauerbratens handeln, welches ihm von John the Baptist, einem alten im Yukon bekannten Trapper auf dessen Sterbebett zu treuen Händen übergeben worden ist. Der Schatz wurde Mike und Cosima zur Aufbewahrung gegeben mit der Auflage, den Behälter mindestens zweimal am Tag umzudrehen, um einen optimalen Genuss zu erzielen.

Träge rollen die Fluten des Teslin, selbst die angezeigten Stromschnellen der „Roaring Bulls“, die passiert werden müssen, sind nur halb so wild. Und das kann, vor allem dann, wenn einem noch dazu ein herbstlich-kräftiger Nordwind entgegen bläst, natürlich nur eines bedeuten: Kräftig paddeln!

Um die Monotonie des Paddelns zu durchbrechen, versuchte Martin das zweite Boot zu entern, fiel dabei in den acht Grad warmen Fluss und wurde von Klaus wieder an Bord gezogen.

Die vielen Sandbänke und kleinen Inseln teilen den Fluss in mehrere Arme. Es ist das Geschick des Steuermanns, den richtigen Arm zu finden, sonst droht die Landung auf einer der flachen Sandbänke, derweilen das schnellere Boot seinen Vorsprung immens vergrößert. Häme und Spott für die Freunde des hinterherfahrenden Bootes!

Und am Abend eine entsprechende Anlegestelle und einen guten Lagerplatz zu finden, bedarf es manchmal mehrerer Stunden. Mal sind die Uferbänke zu hoch oder der Wald zu dicht, der Strand versumpft und damit die Mücken am gefrässigsten. Also wurde gepaddelt, gleich den Vorbildern von ‚98??, mal rüstig, mal fluchend voran: drei Stunden Fron am Morgen, drei Stunden Fron am Nachmittag. Und wenn dann nach fünf Uhr der richtige Lagerplatz gefunden war, ging die Plackerei weiter: Dickicht beseitigen, Holz und Wasser holen, Feuer machen, kochen, Zelt aufstellen, Klamotten trocknen.

Der Mond stand hoch am Himmel, als dann schließlich doch Feierabend war, als vorm Lagerfeuer der „Yukon Hootch“ und der „schottische Landwein“ kreisten, als die Geschundenen, trotz Müdigkeit und steifer Knochen „Auf vielen Straßen dieser Welt“ anstimmten.

Tagelang trieben wir vorbei an Wäldern, Sandbänken, lehmigen Steilufern und schroffem Fels, den träge mäanderenden Fluss hinab, wüteten mit der Axt, entzündenden Lagerfeuer. Nachts, wenn wir uns mit immer dickeren Bekleidungsschichten eng in die Schlafsäcke rollten, fielen wie schwere Tropfen die Blätter aufs Zelt, am Morgen schwamm der Zar schemenhaft im eiskalten Fluss, kaum erkennbar durch den gespenstischen Nebel. Über die Gefahr der Hyperthermie, zu deutsch Unterkühlung, hatte ich alle aufgeklärt, als ich aber zudem Karsten, unseren Mannschaftsarzt, ebenfalls in der eiskalten Brühe schwimmen sah, habe ich es aufgegeben. Die Lufttemperatur war um den Gefrierpunkt, das Wasser angenehme fünf Grad.

Nach grauen Nebelschwaden am Morgen wurden wir im Laufe des Vormittag von einem beginnenden „Indian Summer“ begleitet und am türkisfarbenen Horizont formierten sich die ersten Zugvögel zu ihrem Flug in wärmere Gefilde.

Wir sangen in den Booten und erzählten von gestern und heute. Trapper und Indianer überholten uns oder kamen uns entgegen. Die Jagdsaison hatte begonnen. Ein einsamer Indianer grüßte stumm zu uns herüber. Weißkopfadler zogen über uns hinweg. Der scheue Grizzly versteckte sich hinter einem Busch, die Elche im Fluss flohen bevor wir Ihnen zu nahe kamen. An einem vergessenen Trading Post machten wir halt, inspizierten die halb zerfallenen Indianer-Friedhöfe mit ihren Geisterhäusern.

Es muss beim Besuch dieser alten, ehrwürdigen Grabstätten der Eingeborenen gewesen sein, als Mike die Truppe aufschreckte, mit dem Sauerbraten stimme was nicht. Es rieche so komisch! Als aber der aus vielen Yukon-Fahrten erprobte Mr.Fox seine Nase in den Wind hob, konnte er nur mitleidig lächeln. „Gut abgehangenes und eingelegtes Fleisch muss so riechen!“, murmelte dann noch etaws wie „kulinarische Banausen“ und nahm einen Schluck Prophylaxe aus seiner mitgeführten Drei-Liter-Cantina – gegen das gefürchtete „Rückenbluten“

An einem abgelegen See, weit weg von der Klondike Highway, fanden wir einen wunderbaren Lagerplatz mit viel Feuerholz. Heute wollte der Küchenmeister seinen Yukon-Sauerbraten zelebrieren. Aber ach, was für ein Schreck, statt des zarten eingelegten Fleisches befand sich ein steinhartes Etwas in der Marinade. Der Koch legte seine Nase in den Wind und schaut verächtlich in die Runde.

Verdammt noch mal, was ist passiert? Für einen Moment ist er fast sicher: Durch die ständige Rüttelei auf dem Fluss wurde der Sauerbraten zum Petrefakt. Dann aber machten die laufende Kamera von Klaus und das dreckige Grinsen der restlichen Crew ihm klar, hier wurde Spaß gemacht. Mike hatte den Braten sorgfältig woanders untergebracht und nun mit Blumen garniert wieder auf den Tisch gestellt. Es war ein echter „Wildnis-Gourmet“ Abend, zu dem die entsprechenden Getränke nicht fehlten.

Dawson City – die Schaubühne, auf der der Welt größtes Drama von Gold abrollte, ist immer noch die heimliche Hauptstadt des Yukon. Wir bezogen Quartier im Triple-J Motel, bestellten die größten Steaks und spülten sie mit kaltem kanadischen Bier. Als nun alle kraftstrotzend und frisch gewaschen in der Bar zusammenhocken, war die Luft in dieser bequemen Zivilisation schon zu heiß und zu stickig. Man klopfte sich auf die Schulter: In der Wildnis war es schöner. Doch als man in Gertie’s Saloon beim Whiskey zu neuer Euphorie auftaute, hatte man das Ziel erreicht.

Hurrah for the Klondike!

Und die Barden des Nordens, Jack London und Robert Service, becherten im Geiste mit.

„Oske“ – Roland Kiemle

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